Über das komische Gefühl, Mama zu sein – Interview

Eva Juratovac ist Psychologische Beraterin, Mentaltrainerin und Mutter. Sie unterstützt Eltern, denen es in den ersten Jahren mit Kind oder bereits während der Schwangerschaft psychisch und emotional belastet sind. 

Im Interview spricht sie darüber, warum sich Mama sein manchmal so komisch anfühlt, warum das völlig normal ist und wie wir am besten damit umgehen können.

Eva, wieso ist die psychische und mentale Gesundheit gerade für Mütter ein wichtiges Thema?

Nur wer gut für sich selbst sorgt, der kann auch gut für andere Sorgen, für andere da sein und mit ihnen in Verbindung gehen.

Leider ist das Thema Selbstfürsorge gerade bei frischen Eltern eher ein Randthema.

Die eigenen Bedürfnisse werden oft vernachlässigt. Eine gute Selbstfürsorge ist die Basis für eine gute Bindung und Verbindung mit unseren Kindern, Partner:in und Freundschaften.

Wenn du dich selbst zu lange vernachlässigst, kann das auch negative Folgen auf deine Selbstwahrnehmung, dein Selbstbild und Selbstvertrauen haben. 

Was sind typische Fragestellungen von Frauen, die dir in deiner Beratung begegnen? 

Mütter kommen mit ganz unterschiedlichen Themen zu mir. 

Da gibt es ….

… die Mama, die sich einfach alles anders vorgestellt hat, dessen Erwartungen nicht mit der Realität zusammenpassen. 

 … die Mama, die mitten in einer Beziehungskrise steckt. Die überlegt, sich von ihrem Partner zu trennen. 

… die Mama, die damit zu kämpfen hat, ihre alte Identität aufzugeben. Sie versucht, ihr altes Ich und ihr neues Ich zu integrieren. Sie erkennt sich selbst gar nicht mehr wieder und hat das Gefühl, sich selbst zu verlieren.

… die Mama die große Ängste und Sorgen hat, sich fühlt als wäre sie keine gute Mutter, weil das Stillen nicht klappt, sie manchmal so wahnsinnig genervt ist und hier und da auch mal die Nerven verliert. 

… die Mama, die kaum Unterstützung hat in ihrem Umfeld, sich einsam fühlt, vieles alleine stemmt und sich so gern mehr Anschluss und Unterstützung wünscht.

… die Mama, die manchmal heimlich weint, weil ihr alles gerade zu viel ist. 

.. die Mama, die ihre eigene Kindheit aufarbeiten will, damit sie nicht dieselben Fehler macht wie ihre Eltern. 

Es gibt so viele Themen, mit denen Mamas zu mir kommen. Jedes Thema verdient es, gehört und gesehen zu werden und Raum zu haben, um Schritt für Schritt Veränderungen und Lösungen zu ermöglichen.

Auf meinem Blog habe ich bereits über die sog. Muttertät geschrieben (siehe Teil 1 und Teil 2).

Du bist als psychologische Beraterin, die sich auf die Arbeit mit Müttern spezialisiert, Expertin darin und hast ja auch selbst Erfahrung damit gemacht.

Wie verändert uns die Muttertät denn konkret und warum ist das eigentlich wichtig zu wissen?

Mit diesem Thema füllt man heutzutage zum Glück bereits ganze Bücher. Und das ist gut so!

Denn die Wissenschaft rund um die Veränderungen bei der Mutter ist ein sehr junger Zweig. Galten der Fokus der Forschung bislang dem Baby und dessen Gesundheit und Entwicklung sowie der Erziehungsmethoden.

Dass die Mutter auch in den Fokus der Wissenschaft und Forschung rückt, ist recht neu. 

Studien haben zum Beispiel herausgefunden, dass sich das Gehirn einer Mutter nach der Geburt stärker verändert, als jenes eines Menschen in der Pubertät.

Das Mutterhirn verliert nach der Geburt im Schnitt 7% an grauer Gehirnmasse, umgangssprachlich auch Stilldemenz genannt. Nun hat sich gezeigt, dass dieser Begriff dem massiven Umbauprozess, der darauf im Gehirn erfolgt, nicht gerecht wird.

In den folgenden rund zwei Jahren nach der Geburt reorganisiert sich unser Denkorgan. Es baut sich um und dabei wird an verschiedenen Zentren gearbeitet (Empathie-, Gefühle-, Sozialzentrum zum Beispiel).

Dass ein solcher Umbauprozess kein Zuckerschlecken ist, verstehen wir, wenn wir uns daran erinnern, wie Jugendliche sich in dieser Zeit manchmal verhalten oder fühlen und wie schwierig es ist, sie manchmal zu verstehen oder Verständnis aufzubringen.

Ein Hormoncocktail löst diesen Umbauprozess bei Frauen nach der Geburt aus. Und das ist der Beginn der Muttertät, wenn wir uns nicht mehr fühlen, wie wir uns mal fühlten und uns plötzlich selbst nicht wieder erkennen. 

Aber nicht nur das Gehirn baut sich um, auch der Hormonhaushalt wird langfristig umgestellt.

Die Plazenta und der Fötus produzieren Stresshormone, sie aktivieren einen gewissen Alarmzustand im Körper, die Mutter wird wachsamer und aufmerksamer Gefahren gegenüber, während das Hormon Progesteron müde macht und beruhigt.

Diese ambivalenten Gefühle zwischen gleichzeitig wach und müde zu sein, kennen wohl alle Mütter sehr gut.

Und das sind erst die anfänglichen ambivalenten Gefühle, mit denen viele Mütter im Laufe der Zeit konfrontiert sind (zum Beispiel, sein Kind intensiv zu lieben und trotzdem gleichzeitig manchmal weinen oder schreien zu wollen). 

Auch der Körper befindet sich in einem Umbauprozess. Das wird größtenteils in Rückbildungskursen sehr gut aufgearbeitet.

Was jedoch manchmal dabei auf der Strecke bleibt, ist das Wissen darum, dass dieser körperliche Prozess auch mentale/psychische Auswirkungen haben kann.

Nach der Geburt ist dein Körper durch Hormone ganz weich und instabil.

Die Kugel, die du getragen hast, ist nun weg, die Körpermitte muss sich neu finden, Organe müssen erst wieder an ihre neue Stelle finden und die Körpermitte sich wieder ausbalancieren.

Innere Zustände übertragen wir sehr oft auf äußeres Verhalten – wie im Inneren, so auch im Außen.

Fühlst du dich körperlich fit und stark, bist du meistens mental fit und stark. Fühlst du dich körperlich labil, bist nicht in deiner Mitte, ist das manchmal auch genau das, wie du dich mental fühlst, instabil und nicht in deiner Mitte.

Ich denke, dass Mütter und Eltern, die mehr über diese Themen wissen, auch anders mit sich selbst umgehen können.

Es fällt einem leichter, das eigene Verhalten einzuordnen, deinem Umfeld fällt es leichter auf dich einzugehen oder Verständnis aufzubringen. 

Wie hat sich die Muttertät bei dir gezeigt?

Bei mir hat sich die Muttertät sehr ausgeprägt gezeigt. Ich war sehr verunsichert, bereits in der Schwangerschaft. Ich kannte mich so nicht, in Gruppen bekam ich plötzlich kein Wort mehr heraus und fühlte mich unwohl, war ich davor doch eher immer eine sehr selbstbewusste Frau.

Ein Umzug während der Schwangerschaft und die Kündigung meines Jobs bereits zuvor, taten den Rest dazu. Ich fühlte mich perspektivlos, mir fehlte der Anschluss und ich war viel alleine.

Ich hatte das Glück, zur selben Zeit in einer tollen Ausbildung zu sein und vertraute mich einer Psychologischen Beraterin an. Schritt für Schritt gestaltete ich meine Lebensbereiche neu, gewann an Selbstvertrauen und Perspektiven. 

Erleben Väter oder andere enge Bindungspersonen ähnliche grundlegende Veränderungen?

Die Forschung hat gezeigt, dass jede Bezugsperson, die im intensiven Austausch mit einem Kind steht, ebenso Veränderungen im Gehirn erlebt.

Ausschlaggebend ist, wie viel Zeit jemand mit dem Kind verbringt.

Das hat sich die Evolution schon gut ausgedacht, denn das Kind ist abhängig von der Bezugsperson.

Und so stellt sich auch das Gehirn einer engen Bezugsperson auf diese Rolle ein. Zentren im Gehirn werden reorganisiert, um die Bindung und das soziale Verhalten auf die Aufgabe, das Kind zu versorgen, zu optimieren.

Was können Mütter tun, die sich momentan verloren in sich, gestresst oder sogar in einer scheinbar ausweglosen Situation befinden? 

Das Wichtigste ist immer, darüber zu reden!

Ich weiß, dass viele Mamas dazu neigen, ihre Verzweiflung in sich hinein zu fressen, sie nach außen nicht zu zeigen.

Wir alle versuchen, die starke Mama zu sein, die allen gerecht wird. Aber liebe Mama, du darfst verzweifelt sein, es darf dir auch manchmal schlecht gehen! Das ist okay! 

Ich denke, Selbstmitgefühl ist der erste wichtige Schritt, sei liebevoll mit dir selbst.

Vertraue dich Personen aus deinem Umfeld an. Manchmal ist es hilfreich, sich einer Spielgruppe anzuschließen, auch wenn es große Überwindung kostet, denn der Austausch dort ist oft Gold wert.

Du kannst dich auch jederzeit an eine Beraterin wie mich wenden, es reichen oft ein paar Einheiten, um wieder neue Perspektiven zu finden, erste hilfreiche Schritte zu setzen oder einfach einen Raum zu haben, wo alle Gefühle und Gedanken Platz haben.

Ich biete diesen Raum. Eine langwierige Therapie ist jedenfalls selten notwendig.

Und das ist es auch nicht, was Mamas bei mir erwartet. Wir finden Lösungen, ich gebe Raum und vermittle hilfreiche Tools und Techniken aus dem Mentaltraining.

Welche eine Sache sollten sich Leser:innen aus diesem Beitrag mitnehmen?

Diese Gefühle, dieses innere Chaos, das oft so schwierig zu handhaben scheint, liegt nicht an dir oder deiner Fähigkeit als Mutter. Es ist der Veränderungsprozess auf vielen Ebenen, der es Mamas oft so schwer macht: Gehirn, Hormone und Körper erleben einen massiven Umbauprozess, der sich auch auf deine mentale Gesundheit auswirkt.

Eva Juratovac ist Psychologische Beraterin und Mentaltrainerin.

Du willst mit Eva arbeiten? Hier sind ein paar Möglichkeiten:

–> Vorträge & Workshops

–> Einzelberatung

–> Offline in Mödling & Ebreichsdorf

Christine ist Gründungs- und Mentaltrainerin und hat den Blog Mama Jama während ihrer ersten Schwangerschaft 2021 ins Leben gerufen.

Mit Mindful Business Start unterstützt sie selbstständige Frauen darin, ihre Ideen zu verwirklichen und in erste Angebote zu verwandeln.

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